Mit ADHS das Studium meistern
21.01.2025Lässt sich ein Studium mit einer Beeinträchtigung überhaupt bewältigen? Eine Studentin der Universität Würzburg weiß, dass es funktionieren kann. Sie gibt Einblicke in ihr Leben mit ADHS.
„Zappelphilipp“. Mit diesem Begriff stempeln vermutlich einige Menschen leichtfertig ein Kind mit Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) ab. Dabei muss eine betroffene Person nicht unbedingt zappeln: Zum Beispiel erhalten betroffene Mädchen seltener eine ADHS-Diagnose als Jungs. Oft fallen sie durch das typische Raster und werden dadurch erst viel später diagnostiziert – im routinierten Schulalltag sind Symptome sowieso schwer zu erkennen. Erst mit Studienbeginn und der selbständigen Organisation treten Mehrfachbelastungen auf.
Die Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung (KIS) der Uni Würzburg verzeichnete 87 Beratungsgespräche für Studierende mit ADHS im Jahr 2024. Das macht knapp 14 Prozent der Gespräche aus. Aber wie wirkt sich die Beeinträchtigung überhaupt auf das Studium aus? Anna (Name von der Redaktion geändert), Studentin der Uni Würzburg, erzählt von ihrem Leben mit ADHS.
Wann hat sich ADHS bei dir bemerkbar gemacht?
Schon in der Schule. Da ich als Mädchen aber nicht in das stereotypische Bild des „Zappelphilipps“ passte, haben die Lehrerinnen und Lehrer das nicht mit ADHS in Verbindung gebracht. Oft habe ich den Unterricht gestört, indem ich Antworten reingerufen habe. Wegen meiner guten Leistungen wurde von den Zwischenrufen und meinem vorlauten Verhalten weder in den Zeugnissen noch beim Elternsprechtag etwas erwähnt.
Zuerst während des Abiturs, vor allem aber im Studium konnte ich die guten Noten aus der Schule zunächst nicht halten. Eine ADHS-Diagnose erhielt ich erst im Alter von 20 Jahren. Seitdem nehme ich ein Medikament, das mir sehr hilft, mich auf die Organisation meiner Aufgaben zu konzentrieren. In meinen Leistungen macht es sich auch bemerkbar. Tatsächlich nimmt auch mein Vater ein ADHS-Medikament, denn bei ihm ist es auch stark ausgeprägt.
Wie äußert sich ADHS bei dir?
Auf viele verschiedenen Arten und Weisen! Allgemein beschreibe ich es so: In meinem Kopf sind tausend Browser-Tabs gleichzeitig offen und es fühlt sich an, als würde jemand Fremdes sich durch diese klicken. Unter anderem äußert sich ADHS in meinem Zeitgefühl. Um Termine einhalten zu können, muss ich mir oft mehrere Timer auf meinem Smartphone stellen. Für mich fühlen sich zehn Minuten manchmal wie 30 Minuten und manchmal wie zwei Minuten an. Auch mein Arbeitszeitgedächtnis hat deutlich weniger Kapazität. Es ist schon sehr frustrierend, wenn ich immer wieder einen Termin vergesse – egal wie wichtig er schlussendlich war. Deswegen erstelle ich mir sonntags immer einen analogen Wochenplan, um mehr Struktur zu erzeugen.
Auch das Thema sensorische Empfindlichkeit spielt eine große Rolle. Darunter fällt, wie ordentlich ein Raum ist. Wenn zu viel Unordnung herrscht, versucht mein Kopf herauszufinden, was er ändern würde, damit es sich für mich ruhig anfühlt. Da schwindet die Aufmerksamkeit sehr schnell. In Gruppensituationen ist es das Gleiche: Mich auf ein Gespräch zu konzentrieren, kann ich sehr gut. Aber viele Konversationen gleichzeitig sind kaum zu bewältigen.
Aber nicht nur die Symptome sind belastend, sondern auch der Leidensdruck. Um diesen möglichst gering zu halten, kennt mein Körper drei Verhaltensweisen: Im ersten Fall kümmere ich mich gut um mich selbst. Dafür bleiben Sachen für die Uni wie beispielsweise Deadlines links liegen. Im zweiten Fall kann ich mich in Themen so intensiv hineinsteigern, dass ich meine persönlichen Bedürfnisse vernachlässige. Und im dritten Fall kann es passieren, dass ich keins von beidem auf die Reihe kriege. Das äußert sich dann in einer depressiven Phase. Insbesondere nach langen Phasen im zweiten Modus falle ich in intensive Erschöpfungsphasen – ich sage dazu ADHS-Burnout. Zum Glück erhalte ich eine Therapie und kriege ein Medikament, was mir bei der Balance-Findung hilft. Viele Menschen sehen nicht: Die Folgen einer neurologischen Erkrankung wie ADHS wirkt sich eben auch auf die Psyche aus.
Welche Unterstützung im Studium erhältst du von der KIS?
Zum einen hat mir die KIS eine Studienbegleitung – also eine Studentin aus einem pädagogischen Fach – bereitgestellt. Sie hilft mir bei der Organisation des Studiums und meines Alltags. Zum anderen bekomme ich einen Nachteilsausgleich. Das heißt, bei Klausuren erhalte ich 30 Prozent Zeitzuschlag und ich darf in einem separaten Raum schreiben. So wirken keine äußeren Reize auf mich ein, wenn ich schreibe. Ich empfehle jeder Studentin und jedem Studenten, so früh wie möglich zu einem Beratungsgespräch zur KIS zu gehen. Ich bin leider erst spät im Studium auf die Arbeit der KIS gestoßen und mit ihrer Hilfe fällt mir das Studium um einiges leichter.
Welchen Rat würdest du Abiturientinnen und Abiturienten mit ADHS für das Studium geben?
Ganz wichtig: Studiert nicht euer Hobby. Falls euer Interesse – also eure intrinsische Motivation – daran während des Studiums langsam nachlassen sollte, ist es äußerst schwierig, mit ADHS am Ball zu bleiben. Wählt ein Fach, bei dem ihr euch sicher seid, dass ihr die Motivation aufrecht und konstant halten könnt.
ADHS ist eine unsichtbare Störung. Deswegen merkt euch: Bleibt so, wie ihr seid, denn das ist auch gut so. Es gibt im Studium unzählige Barrieren, die unerwartet auftreten und die ihr auch als solche wahrnehmen dürft. Mein Tipp hier: Ruhig bleiben, sich – beginnend im Freundeskreis – Unterstützung holen, versuchen, nicht an sich selbst zu zweifeln und mutig sein, eure Stärken zu entdecken und euch dann auf diese zu konzentrieren. Ich habe lange versucht, die Diagnose abzustoßen. Es hat mir am meisten geholfen, im ersten Schritt zu akzeptieren, dass ADHS zu mir gehört und wir Menschen mit ADHS tatsächlich eine Bereicherung für unser Arbeits- und Studienumfeld sein können. Mir hilft es, empathisch, kreativ und hilfsbereit zu sein. Für mich also das Resümee: Ich würde nicht ohne mein ADHS leben wollen, denn das wäre viel zu langweilig!
Vielen Dank für das Gespräch.