Urintest verbessert die Diagnose von Nebennierenkrebs
24.07.2020Ein einfacher Urintest kann die Diagnose von Nebennierenkrebs beschleunigen, die Prognose der Patienten verbessern und den Bedarf an invasiven Diagnosemethoden verringern. Dies zeigt eine neue Studie mit Würzburger Beteiligung.
Bildgebende Verfahren wie beispielsweise die Computer- oder die Magnetresonanz-Tomographie werden in der klinischen Praxis immer häufiger eingesetzt. Quasi „nebenbei“ werden bei etwa fünf Prozent dieser Untersuchungen Knoten in der Nebenniere entdeckt. Diese so genannten „Nebennieren-Zufallsgeschwülste“ sind in der Mehrzahl harmlos, bis das aber sicher ist, müssen sich die betroffenen Patienten einer Reihe von Untersuchungen unterziehen. Schließlich muss geklärt werden, ob sich hinter dem Knoten nicht doch ein gefährlicher Nebennierenkrebs versteckt oder ob er Auslöser einer Überfunktion der Nebennieren ist.
Nicht selten kommen dabei erneut bildgebende Verfahren zum Einsatz. Neuere Studien haben jedoch gezeigt, dass diese nur begrenzt dazu in der Lage sind festzustellen, ob eine Gewebeveränderung gutartig ist oder ob es sich um Krebs handelt. Gleichzeitig gehen mit diesen Untersuchungen eine Reihe von Nachteilen einher: Die Patienten werden einer weiteren Strahlenbelastung ausgesetzt, die Kosten sind nicht gerade gering und die Ergebnisse liefern selten die Informationen, die sich Arzt – und Patient – wünschen.
Schnellere Diagnose, gezielte Behandlung
Diese unbefriedigende Situation verbessern könnten jetzt die Ergebnisse einer neuen, multizentrischen Studie, die von Experten der Universität Birmingham geleitet wird. Daran beteiligt ist auch die Endokrinologie des Universitätsklinikums unter Leitung von Professor Martin Fassnacht. Ergebnisse dieser Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift The Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlicht.
Demnach könnte ein einfacher Urintest zum Nachweis überschüssiger Steroidhormone in der Nebenniere – ein Schlüsselindikator für Nebennierentumore – die Diagnose und Behandlung von Patienten mit einem Nebennierenkrebs beschleunigen und dazu beitragen, unnötige Operationen bei Patienten mit einer harmlosen Geschwulst zu vermeiden.
Maschinelles Lernen bringt bessere Ergebnisse
Mehr als 2.000 Patienten mit neu diagnostizierten Nebennierentumoren haben an der Studie teilgenommen. In 14 Zentren des Europäischen Netzwerks zur Erforschung von Nebennierentumoren (ENSAT) wurden sie über einen Zeitraum von sechs Jahren untersucht. Unter anderem mussten sie nach der Diagnose eine Urinprobe abgeben, die anschließend auf ihren Gehalt an Hormonen der Nebennieren analysiert wurde. Zum Einsatz kamen dabei spezielle Computeralgorithmen, die ihre Auswertungen automatisch und auf der Basis eines maschinellen Lernens ständig verbesserten. Die Ergebnisse zeigen, dass der Urintest weniger Fehler produzierte als bildgebende Tests, bei denen häufiger fälschlicherweise die Diagnose „Nebennierenkrebs“ bei einem an sich harmlosen Nebennierenknötchen gestellt wurde.
Professor Wiebke Arlt ist Direktorin des Instituts für Stoffwechsel- und Systemforschung an der Universität Birmingham und Seniorautorin der Studie. Vor ihrem Wechsel nach England hat sie etliche Jahre am Würzburger Universitätsklinikum geforscht. Von den jetzt veröffentlichten Ergebnissen verspricht sie sich viel: „Wir hoffen, dass die Ergebnisse dieser Studie dazu beitragen, die Belastung der Patienten signifikant zu verringern und die Kosten im Gesundheitswesen zu senken, indem nicht nur die Anzahl unnötiger Operationen bei Personen mit gutartigen Veränderungen reduziert, sondern auch die Anzahl der erforderlichen bildgebenden Verfahren begrenzt wird“.
Martin Fassnacht, der aktuell auch Präsident des europäischen Nebennierentumornetzwerks ENSAT ist, arbeitet mit seiner Arbeitsgruppe aktuell bereits an der Einführung dieser neuen Urindiagnostik für die klinische Routinepraxis in Würzburg. „Sobald wir soweit sind, wird dies sicher die Diagnostik der Patienten mit Nebennierentumor deutlich beschleunigen und verbessern. Wir erwarten, dass die Patienten mit bösartigen Veränderungen der Nebennieren damit auch früher im Krankheitsverlauf identifiziert werden können, was dann auch die Prognose verbessern wird.“
Originalpublikation
Urine steroid metabolomics for the differential diagnosis of adrenal incidentalomas in the EURINE-ACT study: a prospective test validation study. The Lancet Diabetes & Endocrinology https://doi.org/10.1016/S2213-8587(20)30218-7
Kontakt
Prof. Dr. Martin Fassnacht, Schwerpunktleiter Endokrinologie & Diabetologie, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Würzburg, T: +49 931 201-39021, Fassnacht_M@ukw.de