Dem Unerwarteten auf der Spur

Zhicheng Zhong hat in China Physik studiert. Über die Niederlande und Österreich ist er als Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung nach Würzburg gekommen. Den Experten für theoretische Physik zieht es nicht ins Labor. Er bevorzugt es, Experimente im Kopf durchzuführen.
Die Suche nach einer guten Idee macht 90 Prozent seiner Arbeit aus. Die restlichen zehn Prozent verbringt Dr. Zhicheng Zhong damit zu testen, ob seine Idee funktioniert. Dementsprechend sieht sein Arbeitstag aus: Literaturstudium, Gespräche mit Kollegen, Algorithmen entwickeln - damit füllt er den Großteil seiner Zeit. Und natürlich: „Nachdenken! Das ist das Wichtigste überhaupt!“.
Zhicheng Zhong ist zwar Physiker. Trotzdem steht er nicht im Labor und schießt Protonen aufeinander oder fängt einzelne Atome in Quantentöpfen. Zhong ist Experte für theoretische Physik; seine Spezialität ist es, am Computer die Eigenschaften verschiedener Materialien vorherzusagen oder – anders herum – nach Materialien zu suchen, die bestimmte Eigenschaften zeigen. Zhong konzentriert sich dabei auf sogenannte Übergangsmetalloxide.Konventionelle Halbleiter sind aus Sicht der Physik nicht mehr spannend„Heutzutage dominieren Halbleiter die Technik. Sie sind nahezu überall zu finden“, sagt Zhong. Aus Sicht von Physikern stellen Silizium und Co. allerdings keine wissenschaftliche Herausforderung mehr dar – ihre Eigenschaften seien sehr gut erforscht, ihre Fähigkeiten ausgereizt. Wer die Bauteile schneller, kleiner, sparsamer machen möchte, muss auf eine neue Generation von Materialien setzen: Oxide – und hier vor allem Übergangsmetalloxide.Übergangsmetalle und ihre Verbindungen zeigen ein besonders breites Spektrum physikalischer und chemischer Eigenschaften. Ihre elektrischen und magnetischen Eigenschaften variieren stark, vor allem wenn man sie in extrem dünnen Schichten miteinander kombiniert. Dementsprechend groß ist ihr Einsatzbereich. Er reicht von neuartigen Bausteinen für Datenspeicher über Sensoren und Katalysatoren bis zu Hochtemperatur-Supraleitern – also Materialien, die im Idealfall bei Zimmertemperatur Strom widerstandslos leiten.Die Kombination von Bekanntem bringt NeuesKombinationen unterschiedlicher Übergangsmetalloxide stehen im Mittelpunkt von Zhicheng Zhongs Forschung. Bei ihnen treten Effekte auf, die er mit der Formel „Eins plus Eins ist größer als Zwei“ beschreibt. Soll heißen: Zwei dünne Schichten, aufgebaut aus zwei verschiedenen Oxiden mit bekannten physikalischen Eigenschaften, zeigen in dieser Kombination ganz neue Eigenschaften. So können beispielsweise zwei Isolatoren plötzlich Strom leiten, bringt man sie nur eng genug zusammen. In solchen Fällen zeige sich bisweilen „eine ganz neue Physik jenseits der Grenzen des bereits Bekannten“, so Zhong.In seinen Gedankenexperimenten kombiniert Zhong Materialien mit stark korrelierten Elektronensystemen mit solchen, in denen eine sogenannte Spin-Bahn-Kopplung vorliegt. Während zur ersten Gruppe die große Klasse magnetischer Metalle sowie die Hochtemperatur-Supraleiter gehören, spielt die Spin-Bahn-Kopplung unter anderem bei Topologischen Isolatoren eine wichtige Rolle. Für die Forschung an diesen Isolatoren ist Würzburg der richtige Ort. Laurens Molenkamp, Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Physik 3, gelang hier im Jahr 2007 die erste experimentelle Realisierung dieser Materialklasse.Hohe Expertise in Würzburg„In Würzburg wird auf hohem Niveau an den beiden Materialklassen geforscht, die mich hauptsächlich interessieren“, sagt Zhicheng Zhong. Deshalb habe er sich als Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung dafür entschieden, nach Würzburg zu gehen. Seine Gastgeber sind die Professoren Giorgio Sangiovanni vom Lehrstuhl für Theoretische Physik 1 und Ralph Claessen, Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Physik 4 und Spezialist für die elektronische Struktur stark korrelierter Elektronensysteme. Mit beiden hatte Zhong bereits zuvor schon zusammengearbeitet.Zhicheng Zhongs LebenslaufZhicheng Zhong wurde 1982 in China in der Provinz Hunan geboren. Von 1998 bis 2002 studierte er in einer speziellen Klasse für besonders Begabte Physik an der Shanghai Jiaotong University. Seinen Master schloss er 2005 an der Universität Peking ab. Direkt im Anschluss daran ging Zhong nach Europa. „Wer damals Wissenschaft auf höchstem Niveau betreiben wollte, musste China verlassen. Damals war das Land noch nicht so weit“, sagt Zhong. Inzwischen habe China allerdings deutlich aufgeholt.Seine Doktorarbeit schrieb Zhong an der Universität Twente in Enschede (Niederlande); danach wechselte er als Postdoc an die Technische Universität Wien. Bis April 2016 wird er nun als Humboldt-Stipendiat an der Universität Würzburg lehren und forschen. Ob es danach zurück nach China gehen wird, kann er noch nicht sagen. Dort sei er aufgewachsen, deshalb ziehe es ihn bisweilen dorthin zurück. Auf der anderen Seite habe er sich inzwischen „an Europa gewöhnt“ – trotz der großen kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Kontinenten.Gut möglich, dass bei dieser Entscheidung seine Familie auch ein Wort mitzureden hat. Zhicheng Zhong ist zwar mit einer Chinesin verheiratet. Seine Kinder – demnächst soll das dritte zur Welt kommen – sind aber in Europa geboren und aufgewachsenText: Pressestelle Uni WürzburgFoto: Gunnar Bartsch ?