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Der Einfluss der Religion auf das Recht zu leben

20.12.2016 | FORSCHUNG
Die Teilnehmer der internationalen Tagung. In der Mitte Hans-Georg Ziebertz. (Foto: Sylvia Scheller)
Die Teilnehmer der internationalen Tagung. In der Mitte Hans-Georg Ziebertz. (Foto: Sylvia Scheller)

Welchen Stellenwert geben junge Menschen dem Recht auf Leben? Was halten sie von Abtreibung, Sterbehilfe und Todesstrafe? Und welchen Einfluss hat ihre Religiosität auf diese Einschätzungen? Diese Fragen standen im Zentrum einer internationalen Tagung an der Universität Würzburg.

Menschliches Leben gilt in vielen Religionen als ein gottgegebenes Geschenk, über das der Mensch nicht verfügen darf. Religiöse Gemeinschaften verstehen sich deshalb auch als Anwälte für das Recht auf Leben. Dieses Recht wird von der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen in Artikel 3 ausdrücklich geschützt.

Doch die zunehmenden medizinischen Möglichkeiten am Beginn und am Ende des Lebens werfen eine Reihe ethischer und rechtlicher Fragen auf, die jede Gesellschaft beantworten muss. Wie denken junge Menschen über die Frage, ob das Leben unter allen Umständen zu schützen ist beziehungsweise unter welchen Bedingungen Ausnahmen erlaubt sein sollten?

Internationale Forschergruppe diskutiert ihre Ergebnisse

Zur Klärung dieser Frage traf sich vom 11. bis zum 14. Dezember die von Professor Hans-Georg Ziebertz koordinierte internationale Forschergruppe „Religion and Human Rights“ in Würzburg, um Ergebnisse ihrer internationalen empirischen Studie zu diskutieren. Ziebertz hat an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts inne.

Im Zentrum der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Tagung standen die Themen: Welchen Stellenwert geben junge Menschen aus verschiedenen Ländern dem Recht auf Leben? Wie beurteilen sie Einschränkungen des Rechts auf Leben im Falle von Abtreibung, Sterbehilfe und Todesstrafe? Welchen Einfluss hat ihre Religiosität auf diese Einschätzungen?

Ergebnisse aus Deutschland

In seinem Eröffnungsvortrag ging Hans-Georg Ziebertz auf die deutsche Diskussion um Abtreibung und Sterbehilfe ein und stellte den Begriff der Menschenwürde in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Anhand empirischer Daten konnte er zeigen, dass deutsche Jugendliche dem Thema Sterbehilfe sehr offen gegenüber stehen. Ebenso werde die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs von Jugendlichen bejaht, auch wenn sie sich hier zurückhaltender zeigen.

Durch weitere Analysen machte Ziebertz deutlich, dass religiöse Jugendliche größere Vorbehalte gegenüber Abtreibung und Sterbehilfe haben, während Jugendliche, die hedonistische Werte favorisieren, die größte Zustimmung zeigen. Überraschenderweise hatte das Verständnis von Menschenwürde der Jugendlichen nur einen sehr geringen Einfluss auf ihre Einstellungen zu Abtreibung und Sterbehilfe.

Indien: Viele Religionen, geringe Unterschiede

Dass Religionen zu durchaus unterschiedlichen Bewertungen von Sterbehilfe kommen, zeigten Professor Francis-Vincent Anthony (Indien) und Dr. Carl Sterkens (Niederlande) anhand der multireligiösen Gesellschaft in Indien auf. Während Christentum und Islam die freiwillige Beendigung des Lebens ablehnen, kennt der Hinduismus durchaus Formen des freiwilligen Sterbens, die auch aus religiöser Sicht gewürdigt werden.

Die empirischen Daten der beiden Forscher zeigen jedoch, dass sich christliche, muslimische und hinduistische Jugendliche nicht in der Bewertung von Sterbehilfe unterscheiden. Die religiösen Konzepte, die der Hinduismus also bereitstellt, führen nicht dazu, dass hinduistische Jugendliche Sterbehilfe stärker befürworten.

Unterschiede zwischen Skandinavien und Osteuropa

Wie sehr der gesellschaftliche Kontext die Bewertung von Abtreibung und Sterbehilfe beeinflusst, zeigte ein Vergleich zwischen skandinavischen Ländern (Norwegen, Schweden) und osteuropäischen Ländern (Weißrussland, Rumänien), den Dr. Pål Botvar (Norwegen), Dr. Anders Sjöborg (Schweden), Dr. Olga Breskaya (Weißrussland) und Professor Silviu Rogobete (Rumänien) vorlegten.

Die vier Forscher konnten anhand ihrer Daten deutlich machen, dass Jugendliche aus osteuropäischen, eher christlich-orthodox geprägten Ländern, die sich stark mit ihrem politischen System identifizieren, Abtreibung und Sterbehilfe eher ablehnen. Jugendliche aus skandinavischen, eher protestantisch geprägten Ländern hingegen, die sich wiederum mit ihrem politischen System identifizieren, befürworteten Abtreibung und Sterbehilfe.

Chile: Politische Einstellungen sind maßgeblich

Dass Religion nur bei bestimmten Fragen des Rechts auf Leben eine Rolle spielt, zeigten die Professoren Jorge Manzi und Joaquin Silva Soler (beide Chile) am Beispiel Chile. Religiöse Jugendliche und besonders jene, die einer evangelikalen Freikirche angehören, lehnen dort Abtreibung und Sterbehilfe als Einschränkung des Rechts auf Leben ab. Überraschenderweise hat die Religiosität der Jugendlichen aber keinen Einfluss auf die Bewertung der Todesstrafe. Die beiden Forscher konnten vielmehr zeigen, dass bei dieser Bewertung politische Einstellungen maßgeblich sind und dass die Todesstrafe vor allem von jenen befürwortet wird, die autoritäre Strukturen favorisieren.

Internationales Projekt wird von Würzburg aus geleitet

Professor Hans-Georg Ziebertz ist Leiter und Initiator der internationalen Forschergruppe „Religion and Human Rights“. Am Projekt sind rund 30 Länder aus Europa, Afrika, Asien und Südamerika beteiligt. Das Projekt hat eine Laufzeit bis 2019. In jährlichen Tagungen, die ein spezifisches menschenrechtsbezogenes Thema in den Blick nehmen, werden die Ergebnisse der Studie systematisch ausgewertet.

Alexander Unser

Kontakt

Prof. Dr. Dr. Hans Georg Ziebertz, T (0931) 31-83131, hg.ziebertz@uni-wuerzburg.de

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