Intelligenz braucht das ganze Gehirn
12/17/2024Ein Team der Würzburger Psychologie untersucht Kommunikationswege im Gehirn und sagt Intelligenz vorher. Ein neuer Studienansatz soll mit Maschinellem Lernen das grundlegende Verständnis von Intelligenz verbessern.
Das menschliche Gehirn ist das zentrale Steuerungsorgan unseres Körpers. Es verarbeitet durch die Sinne aufgenommene Informationen und ermöglicht es uns unter anderem, Gedanken zu bilden, Entscheidungen zu treffen und Wissen zu speichern. Bei allem, was unser Gehirn imstande ist zu leisten, erscheint es fast paradox, wie wenig wir eigentlich über es selbst immer noch wissen.
Zu denen, die dem komplexesten und kompliziertesten Organ auf der Spur sind, gehören Jonas Thiele und Dr. Kirsten Hilger, Leiterin der Arbeitsgruppe „Networks of Behaviour and Cognition“ am Lehrstuhl für Psychologie I der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Kürzlich erschien ihre neueste Studie in der Fachzeitschrift PNAS Nexus: “Choosing explanation over performance: Insights from machine learning-based prediction of human intelligence from brain connectivity.”
Durch Verbindungen im Gehirn Intelligenz vorhersagen
Dafür nutzten die Forschenden Datensätze eines großangelegten Datasharing-Projekts aus den USA – dem Human Connectome Project. Mit Hilfe von fMRT – einer bildgebenden Methode, die Veränderungen der Gehirnaktivität misst – wurden hier über 800 Personen untersucht. Sowohl im Ruhezustand als auch während sie verschiedene Aufgaben bearbeiteten.
Das Team unter Würzburger Leitung sah sich dabei verschiedene Verbindungen an, welche die Kommunikationsstärke zwischen Gehirnregionen abbilden, und tätigte basierend auf diesen Beobachtungen Vorhersagen zur Intelligenz der Versuchspersonen.
„Es gibt bereits viele solcher prädiktiver Studien und diese erzielen auch durchaus gute Vorhersageleistungen“, weiß Kirsten Hilger. Deren tieferen Sinn stellt die Psychologin allerdings in Frage, schließlich wären die Vorhersagen nie so genau wie die Ergebnisse eines Intelligenz-Tests. „Wir wollten deshalb weg vom reinen Vorhersagen und stattdessen die grundlegenden Abläufe im Gehirn besser verstehen. Wir versprechen uns davon ein besseres Verständnis des neuronalen Codes individueller Intelligenzunterschiede.“
Kirsten Hilger hofft, dass Kolleginnen und Kollegen dem Beispiel folgen und zukünftig mehr Studien konzipiert werden, die mit einem Schwerpunkt auf der Interpretierbarkeit das konzeptionelle Verständnis der menschlichen Kognition verbessern.
Drei Arten von Intelligenz
Das Team unterschied bei seinen Vorhersagen drei Arten von Intelligenz: Fluide Intelligenz bezeichnet die Fähigkeit, logische Probleme zu lösen, Muster zu erkennen und neue Informationen zu verarbeiten, unabhängig vom vorhandenen Wissen oder von erlernten Fähigkeiten.
Kristalline Intelligenz umfasst das Wissen und die Fähigkeiten, die eine Person im Laufe ihres Lebens erwirbt. Dazu gehören allgemeines Wissen, Erfahrungen und das Verständnis von Sprache und Konzepten. Sie entsteht durch Bildung und Erfahrung.
Zusammen bilden beide Formen die allgemeine Intelligenz. Die beste Vorhersageleistung gelang bei der allgemeinen Intelligenz, gefolgt von kristalliner und fluider Intelligenz.
Gehirnweite Verbindungen sagen Intelligenz am besten vorher
Welche unterschiedlichen Verbindungen im Gehirn untersucht wurden, bestimmten dabei verschiedene theoretische Überlegungen. Zusätzlich wurden auch zufällig ausgewählte Verbindungen getestet. Eine entscheidende Beobachtung: Die Verteilung der Verbindungen übers ganze Gehirn sowie deren Anzahl waren für die Vorhersageleistung am wichtigsten. Wichtiger als zwischen welchen genauen Gehirnregionen sich die einzelnen Verbindungen befanden.
„Die Austauschbarkeit der ausgewählten Verbindungen legt für uns die Schlussfolgerung nahe, dass Intelligenz im Gehirn eine globale Sache ist. Wir konnten Intelligenz nicht nur aus einem bestimmten Satz von Gehirnverbindungen vorhersagen, sondern aus verschiedenen Kombinationen von Verbindungen, die im gesamten Gehirn verteilt sind“, so Hilger.
Ergebnisse übertreffen etablierte Theorien
Während etablierte Intelligenztheorien den Fokus oft auf bestimmte Bereiche des Gehirns – etwa den präfrontalen Cortex – legen, lassen die Ergebnisse der Studie vermuten, dass doch mehr Verbindungen für Intelligenz verantwortlich sind: „Die Verbindungen von Hirnregionen, die in den gängigsten Theorien zur neurokognitiven Intelligenz vorgeschlagen werden, brachten zwar bessere Ergebnisse als zufällig ausgewählte Verbindungen. Noch besser wurden die Ergebnisse aber, wenn diese gängigen Verbindungen um zusätzliche erweitert wurden“, berichtet Kirsten Hilger.
Dies deute darauf hin, dass es noch mehr Aspekte der Intelligenz gibt als bislang angenommen, die darauf warten, verstanden zu werden.
Originalpublikation
Jonas A Thiele, Joshua Faskowitz, Olaf Sporns, Kirsten Hilger, Choosing explanation over performance: Insights from machine learning-based prediction of human intelligence from brain connectivity, PNAS Nexus, Volume 3, Issue 12, December 2024, pgae519, DOI: https://doi.org/10.1093/pnasnexus/pgae519.
Kontakt
Dr. Kirsten Hilger, Lehrstuhl für Psychologie I, T: +49 931 31-81141, M: +49 160 3391686, kirsten.hilger@uni-wuerzburg.de