Bayerische Forschungsstiftung fördert Individuelle Tumordiagnostik in Millionenhöhe - Der neue Forschungsverbund Tumordiagnostik für individualisierte Therapie FORTiTHer
Feierliche Übergabe des Förderbescheids für den neuen Forschungsverbund FORTiTHer durch den Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Herrn Bernd Sibler am 14.06.2019.
Der Stiftungsrat der Bayerischen Forschungsstiftung hat in seiner ersten Sitzung am 1. April 2019 für fünf Technologieprojekte und einen Forschungsverbund Zuschüsse in Höhe von insgesamt rund 3,8 Millionen Euro bewilligt. Wissenschaftsminister Bernd Sibler, der die Sitzung leitete, stellte dazu fest: „Die Bayerische Forschungsstiftung ist ein bewährter starker Partner für Wissenschaft und Wirtschaft in ganz Bayern. Sie gestalten unsere Zukunft! Die enge Kooperation von Forschung und Unternehmen ermöglicht wertvolle Synergieeffekte, von denen alle Beteiligten profitieren. Ich freue mich sehr, dass in dieser Förderrunde einige unserer nord- und ostbayerischen Universitäten und Hochschulen mit ihrer Expertise und ihrem großen Know-How zu Prozess- und Verfahrenstechnik, additiver Fertigung und Batterietechnik überzeugen konnten. Hinzu kommt ein Forschungsverbund zur individualisierten Tumordiagnostik und -therapie. All diese Projekte verbindet ihr Potenzial, durch den Technologietransfer in die beteiligten Unternehmen Produkte und Dienstleistungen zum Wohle Bayerns und der hier lebenden Menschen zu entwickeln."
Jährlich beraten die Gremien der Bayerischen Forschungsstiftung über Projektanträge mit einem Gesamtvolumen von über 50 Millionen Euro. Die Forschungsstiftung hat seit ihrer Gründung im Jahr 1990 für 887 Projekte rund 573 Millionen Euro bewilligt. Gemeinsam mit den Co-Finanzierungsanteilen der bayerischen Wirtschaft wurde damit ein Gesamtprojektvolumen von rund 1,270 Milliarden Euro angestoßen. Zusätzlich vergibt die Forschungsstiftung Stipendien für die internationale Zusammenarbeit von Forschern sowie (Post-)Doktoranden.
Die Bayerische Forschungsstiftung fördert unter anderem in den nächsten drei Jahren einen neuen „Forschungsverbund Tumordiagnostik für individualisierte Therapie FORTiTher". Koordiniert wird der Verbund durch Wissenschaftler aus dem Muskuloskelettalen Centrum der Universität Würzburg MCW. Der Sprecher des Verbundes Prof. Dr. Franz Jakob vom Lehrstuhl für Orthopädie, sein Stellvertreter Prof. Dr. Torsten Blunk, Forschungsleiter der Klinik für Unfallchirurgie, und die Geschäftsführerin Frau Dr. Sigrid Müller-Deubert haben WissenschaftlerInnen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, der Universität Regensburg und der Ludwig-Maximilians-Universität München zu einem schlagkräftigen Wissenschaftsverbund zusammengebracht, der von einer großen Anzahl an Partnern aus der forschenden Industrie unterstützt wird. Das Gesamtvolumen der finanziellen Aufwendungen beträgt ca. 3,9 Mio €, wovon ca 1,9 Mio € von der Bayerischen Forschungsstiftung gestellt werden. Inhaltlich beschäftigt sich der Verbund vor allem mit der Entwicklung diagnostischer Tests zur individuellen Charakterisierung von Tumorzellen aus Primär-Tumoren und aus Zellen die Metastasen bilden oder bereits gebildet haben. In der öffentlich zugänglichen Kurzfassung werden die Ziele und Inhalte der Forschungsarbeit beschrieben:
Kurzfassung des Projekts für Laien
Bahnbrechende technische Entwicklungen auf den Gebieten der Computertechnologie und der biologischen Beschreibung von Geweben und Einzelzellen und ihrer feinsten Zusammensetzung und Funktion erlauben heute eine umfassende Analyse individueller Tumorleiden. Es wird möglich, die Verarbeitung großer Datenmengen schnell und unter vertretbarem wirtschaftlichem Aufwand für jeden Einzelfall in die tägliche Versorgung mit aufzunehmen, mit dem Ziel einer individuell maßgeschneiderten therapeutischen Strategie. Die differenzierte Diagnostik individueller Tumorgewebe mittels hochauflösender funktioneller Bildgebung und genetischer Analyse wird durch wenig invasive Untersuchungen von Tumorzellen und Botenstoffen aus Blutproben und Urin ergänzt. Einzelzell-Untersuchungen und effiziente Testung gezüchteter Kulturen im Reagenzglas werden entwickelt und automatisiert. Die gewonnenen Daten ergeben ein differenziertes Bild eines Tumors bezüglich Bösartigkeit, Wachstum, Auseinandersetzung mit dem Immunsystem, Ausbreitungs-Tendenz und Ansprechen auf Medikamente. WissenschaftlerInnen des interdisziplinären Konsortiums FORTiTher haben in der Vergangenheit mit vielfältigen Vorarbeiten zu diesen Fortschritten beigetragen. Sie werden zukünftig im Forschungsverbund gemeinsam mit der forschenden Industrie Technologien aus den verschiedenen Feldern zusammenbringen und die Grundlagen schaffen für eine zeitnahe Übertragung der High-Tech-Testsysteme in die medizinische Versorgung.
Die Initiative der Bundesregierung: Nationale Dekade gegen Krebs
Mit der Nationalen Dekade gegen Krebs möchte das Bundesforschungsministerium Kräfte im Kampf gegen Tumorerkrankungen bündeln. Die Krebsforschung soll besonders in den Bereichen Prävention, Früherkennung, Diagnostik und innovative Therapien weiter gestärkt und zielgerichtet vorangetrieben werden. Vier Themenblöcke stehen deshalb in den kommenden zehn Jahren im Fokus: Prävention, Diagnostik, Therapie, Teilhabe und Einbindung der Betroffenen.
Weitere Informationen finden Sie unter folgenden Links:
https://www.bmbf.de/de/nationale-dekade-gegen-krebs-7430.html
https://www.dekade-gegen-krebs.de/
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/krebs.html
https://www.krebsinformationsdienst.de/grundlagen/krebsentstehung.php
Die Förderung des Konsortiums FORTiTher durch die Bayerische Forschungsstiftung kommt zeitgerecht als starker Beitrag des Freistaats Bayern zu diesem Auftakt der Dekade gegen den Krebs.
Wissenschaftliche Kurzbeschreibung des Projekts
In den letzten Jahren gelangen erhebliche Fortschritte bei der Erforschung von Tumorerkrankungen. Die Eigenschaften individueller Tumore und die Auseinandersetzung des individuellen Wirts mit Tumoren können zunehmend präzise erfasst werden und werden zur Grundlage für immer passgenauere individualisierte therapeutische Strategien. Entwicklungen der Analytik im Sinne von „OMICs"-Technologien unterstützen dies. Die Erstellung und Handhabung von „Big Data"-Datenbanken und deren systembiologische Auswertung wird immer besser umsetzbar. Gleichzeitig eröffnen eine hochauflösende funktionelle Bildgebung und die Einzelzell-Manipulation neuartige Möglichkeiten zur Charakterisierung von Tumoren. Komplexe Gewebestrukturen können mittels 3D Zellkulturen und Tissue Engineering in vitro nachgestellt werden, für in vivo-Untersuchungen wurden genetisch veränderte und humanisierte Tiermodelle entwickelt. WissenschaftlerInnen des interdisziplinären Konsortiums FORTiTher haben in der Vergangenheit mit vielfältigen Vorarbeiten zu diesen Fortschritten beigetragen. Für die Translation in die Klinik ist jetzt die Entwicklung und Standardisierung ökonomischer diagnostischer Verfahren essentiell. Das Konsortium FORTiTher wird gemeinsam mit der forschenden Industrie Technologien aus den verschiedenen Feldern zusammenbringen und innovative High-Tech-Testsysteme für die individualisierte Diagnostik und Therapie von Tumorerkrankungen entwickeln. Die Palette der Diagnostika beinhaltet massenspektrometrische Verfahren und Immunoassays, theranostische Tracer für das „Functional Imaging" tumorinduzierter und tumorspezifischer Targets für das PET-CT, die Charakterisierung von Tumor-Sphäroiden für die Roboter-basierte automatisierte Diagnostik und die Validierung der Diagnostika in komplexen Tissue-Engineering-Konstrukten, sowie in Kleintier- und Großtiermodellen. Die Systembiologie der Tumor-Wirt-Interaktion wird in einer bioinformatischen Plattform modelliert. Die individualisierte Charakterisierung von Tumoren und deren Metastasen und die Analyse der lokalen und systemischen Interaktion mit dem Wirtsorganismus wird neue präzise theranostische Ansätze ermöglichen. Komplementär zur in Deutschland und weltweit expandierenden Grundlagenforschung über Tumore und Metastasen wird das Konsortium FORTiTher einen schnellen Technologietransfer umsetzen, der die Translation wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Klinik fördert und die Partner der forschenden Industrie unterstützt. Aktuelle Ergebnisse werden mittel- und langfristig die Versorgung der betroffenen Patienten im Sinne einer individualisierten Präzisions-Medizin verbessern. Die Methoden einer komplexeren Diagnostik können immer ökonomischer gestaltet werden und ermöglichen gleichzeitig durch die Steigerung der Effizienz mit individualisierten und treffsicheren therapeutischen Strategien eine Reduktion der individuellen und der ökonomischen Krankheitslast.
Ausgangssituation und Motivation:
Präzisionsmedizin auf der Basis individualisierter Strategien
„Präzisions-Gesundheit" ist ein Begriff, der sich aus der Vorstellung heraus entwickelt, dass die Kenntnis individueller (epi-)genomischer und (patho-)physiologischer Voraussetzungen eine möglichst gesunde angepasste Lebensweise vorgeben kann. Um dies zu erreichen stehen eher präventive als therapeutische Strategien an erster Stelle, basierend auf der Kenntnis individueller Risikoprofile (Gambhir et al., 2018). Die Möglichkeiten der Erfassung des Individuums und seiner Eigenschaften mit den modernen Methoden der Wissenschaft haben dazu geführt, dass man bereits von der Erfassung eines „Personoms" oder „Personaloms" spricht (Vitali et al., 2017). Bei der diesjährigen Nobelpreisträger-Tagung in Lindau war das Thema „personalisierte Medizin" als herausragendes Thema auch für die Öffentlichkeit aufgearbeitet worden, ein entsprechender Vortrag wurde von Aaron Ciechanover, Nobelpreisträger für Chemie 2004, unter dem Titel „The Revolution of Personalised Medicine: Its Promises and Obstacles" dargeboten (https://www.mediatheque.lindau-nobel.org/videos/37784/2018-meeting-aaron-ciechanover/meeting-2018).
„Präzisionsmedizin" ist die Vision, die derzeit entwickelt wird für eine Diagnostik und Therapie bei eingetretener Erkrankung. Sie richtet sich an der individuellen Ausprägung einer definierten Erkrankung in einem individuellen Organismus und an dessen Möglichkeiten der Resilienz, des Widerstands und der Verteidigung gegen eine Krankheit und die Rückkehr zum Ausgangspunkt aus (medizinisch „restitutio ad integrum"). Diese Vision stützt sich nicht alleine auf die genomischen Voraussetzungen eines Individuums, sondern orientiert sich an der individuellen Erkrankung und den Umgebungsbedingungen. Die Analyse – die erweiterte Diagnose – der Erkrankung selbst spielt dabei unverändert eine sehr wichtige Rolle, wie z.B. die Art eines Erregers, die Signatur eines Tumors und das jeweilige Ansprechen auf eine pharmakologische oder nicht-pharmakologische Therapie oder Intervention (Nakagawa and Fujita, 2018). Zunehmend kommen auch die individuellen Gegebenheiten der Auseinandersetzung des Organismus mit der Therapie/Intervention in den Fokus, an erster Stelle die individuelle Pharmakogenomik (Barbarino et al., 2018) und Suszeptibilitäts-Faktoren auf dem Boden der Genetik und der eigenen Biographie (Ogino et al., 2018). Mittlerweile geht die Situations-Analyse über die reine Genetik von Erkrankung und Wirt hinaus und bezieht epigenetische Veränderungen mit ein (Davalos et al., 2017; Pasculli et al., 2018). In diesem Sinne berücksichtigt die Individualisierte Medizin die über den betreffenden Organismus hinweggegangenen Änderungen im Zuge der Auseinandersetzung mit der Umwelt, wie z.B. die Prägung des Immunsystems, die aktuelle Besiedelung mit Kommensalen (Mikrobiom) sowie die Alterung des Organismus (Letai, 2017; Ogino et al., 2018).
Um ein ausreichend individuelles Bild von einer Erkrankung und deren Wirt zu bekommen, ist eine immer komplexere Datenerfassung zum Geschehen machbar und notwendig. Der Umgang mit den erhobenen Daten muss es ermöglichen, die zugrundeliegende Systembiologie zu erfassen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen (Alyass et al., 2015; Karczewski and Snyder, 2018; Kurnit et al., 2018). Folgerichtig ist die bioinformatische Technologie des Umgangs mit den „Big Data" aus allen uns möglichen OMICS-Methoden als „Panomics" bezeichnet worden (Sandhu et al., 2018), die Auswertung des gesamten Datenpools, der für die Beurteilung einer individuellen Situation zur Verfügung steht und aus dem die entscheidenden Schlüsse gezogen werden können.
Die Aufwendungen für eine solche individuelle und komplexe Datenerfassung erscheinen zunächst enorm und kaum finanzierbar. Das letztere ändert sich jedoch sehr schnell und die Vorgehensweise der Präzisionsmedizin verspricht auch eine Steigerung der Effizienz im individuellen Fall und vermeidet unnötige und unsinnige Therapien. Die „neue Ära" der personalisierten Medizin, so sie denn im großen Stil umsetzbar ist, führt auch zu einem völlig neuen Verständnis Evidenz-basierter Medizin. Demnach würden in Zukunft nicht mehr (nur) die durchschnittlichen Ergebnisse der großen Studien mit Tausenden von PatientInnen die beste Evidenz präsentieren, sondern der exakte Treffer des individuellen Falls, und/oder zumindest würde das „Mendelian Randomisation Trial" das „Randomized Controlled Trial" (RCT) ersetzen (Dugger et al., 2018; Moscow et al., 2018; Salgado et al., 2018). Um solch umwälzende Entwicklungen in der Medizin hinreichend zu begründen, benötigen wir gut fundierte und charakterisierte Werkzeuge für die individuelle Diagnostik und Therapie. Es gibt Erkrankungen, deren individuelle Ausprägungen mit vergleichsweise geringerer Variabilität einer gesetzmäßigen Ausprägung im Sinne eines gemeinsamen Prinzips folgen (z.B. Stoffwechselerkrankungen), während andere (z.B. Tumorerkrankungen) eine breitere Variabilität aufweisen, sowohl mit Blick auf die Genetik und Epigenetik des Tumors als auch bezogen auf die Antwort des Wirts.