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Fachschaft Medizin

Sexismus in der Medizinischen Lehre

Liebe Studierende,

im folgenden Text geht es um Sexismus sowie sexuelle Diskriminierung und Gewalt in der medizinischen Lehre an unserer Fakultät und der Uniklinik. Wir berichten von unserer Umfrage, bisherigen Erfolgen, unseren Wünschen und Vorschlägen für die Zukunft und informieren euch über Hilfsangebote und Stellen, an die ihr euch wenden könnt.

 

Umfrage der Fachschaft Humanmedizin

Im Sommer 2023 haben wir von der Fachschaft unter euch Studierenden eine Umfrage bezüglich Sexismus und sexueller Diskriminierung an der Uniklinik und in der medizinischen Lehre durchgeführt. Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum vom 24.07.2023 – 30.10.2023, wobei fast alle Ergebnisse vor dem 31.07.2023 eingingen. Die Möglichkeit zur Teilnahme hatten alle Studierenden der Semester eins bis zwölf über die Semester WhatsApp Gruppen, Website und Social Media Plattformen der Fachschaft.

Von 113 Teilnehmenden gaben 58 Personen an, bereits sexuelle Diskriminierung im Studium erlebt zu haben. 51 davon identifizieren sich als weiblich. Die Diskriminierung fand meistens in Praktika oder Seminaren statt, allerdings gab es auch Vorfälle in Vorlesungen oder mündlichen Prüfungen. In 86% der Fälle wurde die Diskriminierung nicht direkt angesprochen, was häufig auf Abhängigkeitsverhältnisse oder Machtgefälle zurückzuführen ist. Von 112 Personen wussten 81% nicht, wohin sie sich nach problematischen Situationen wenden können, beziehungsweise welche Hilfsangebote es gibt.

Bei der Umfrage gab es auch die Möglichkeit, Erlebtes in eigenen Worten zu schildern. Dabei wurden vor allem in der Chirurgie sexistische Stereotype reproduziert, wie beispielsweise Frauen seien schwach, werden schwanger und streben sowieso keine Karriere an. Es wurden auch Fragen mit übergriffigem oder suggerierendem Charakter gestellt, wie zum Beispiel „Was wiegst du denn überhaupt, wenn du in die Chirurgie willst?“ oder „Was willst du werden, wenn du mal groß bist?“ Eine erwachsene Frau muss weder das Eine, noch das Andere gefragt werden. Sie ist mündig und verdient, wie jeder Mensch, Respekt und Kommunikation auf Augenhöhe.

Häufig wurden auch Sexualisierende oder Misogyne Kommentare angegeben. Misogynie beschreibt Frauenfeindlichkeit, Verachtung von Frauen oder Geringschätzung gegenüber Frauen. Es wurden im Lehrkontext private Anekdoten erzählt, in denen das Narrativ der dummen und hysterischen Frau aufrechterhalten wurde. Es wurden Witze gemacht, über Frauen, die nicht Autofahren oder Einparken können. Frauenkörper wurden kommentiert, sexualisiert und abgewertet. Auch Männer waren von Sexualisierung betroffen, wurden aufgefordert sich auszuziehen oder Muskeln zu zeigen. Studentinnen wurden von Dozierenden oder Oberärzten nach ihrer Telefonnummer, nach Verabredungen oder nach OnlyFans gefragt.

Es wurde auch diskriminierendes Verhalten beschrieben. Studentinnen seien während der Visite ignoriert worden, während nur der männliche Kommilitone angeschaut und mit einbezogen wurde. Ein Student gab an, während gynäkologischer Praktika sofort rausgeschickt zu werden, anstatt als angehender Kollege zur Unterstützung vorgestellt zu werden. Beides handelt sich um geschlechterbezogene Diskriminierung.
Leider kam es auch zu körperlichen Grenzüberschreitungen. Es wurde mehr Nähe gesucht, als nötig gewesen wäre, es wurden Schultern gepackt, Körperteile berührt, wiederholt ins Gesäß gestoßen oder ein Klaps auf die Hüfte gegeben.

Ein weiteres Thema, für das wir euch gerne sensibilisieren wollen, ist die Belästigung durch Patient*innen. Acht Studentinnen gaben in der Umfrage an, während einer Lehrveranstaltung oder eines Praktikums von einem Patienten nach ihrer Telefonnummer gefragt worden zu sein, sexuell anzügliche Kommentare oder einen Körperlichen Übergriff erlebt zu haben.

All eure geschilderten Erlebnisse sind uns nahe gegangen und haben uns einen Überblick gegeben, über die Bandbreite dessen, was auch an unserer Universität passiert. Letztendlich haben wir die Daten nun genutzt, um auf Sexismus und sexuelle Diskriminierung in der Lehre aufmerksam zu machen und dagegen vorzugehen. Wir möchten uns entschuldigen, dafür nicht explizit euer Einverständnis eingeholt zu haben. Natürlich sind und bleiben alle Antwortgebenden anonym, allerdings wäre es besser gewesen, euch zu fragen, ob eure Daten in die Auswertung und Weiterverarbeitung mit eingespeist werden dürfen. Aus diesem Grund haben wir in dieser Ausführung und auf Instagram nur zusammengefasste Schilderungen, generische oder mehrfachgenannte Zitate aufgeführt.

 

Bisherige Schritte und Erfolge

Wir haben die Ergebnisse zusammengefasst, anonymisiert und Frau Prof. König (Studiendekanin) vorgestellt, sowie anschließend Herrn Prof. Frosch (Dekan) und Herrn von Oertzen (ärztlicher Direktor) präsentiert. Wir konnten auf Sexismus in der Lehre und am Arbeitsplatz aufmerksam machen und über unsere Wünsche sowie mögliche Lösungen diskutieren. Außerdem konnten wir am akademischen Nachmittag einen Vortrag halten zum Thema sexualisierte Diskriminierung und Gewalt in der medizinischen Lehre, in dem wir unter anderem unsere zusammengefassten und anonymisierten Umfrageergebnisse und daraus resultierenden Wünsche vorstellen konnten. Dadurch wurden sowohl der Fakultätsrat als auch viele Abteilungsleitende, Lehrende und sonstige Mitarbeitende der Universität und Uniklinik auf das Problem aufmerksam. Einige Abteilungen, unter anderem die Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, wollen sich intern weiter mit der Thematik auseinandersetzen, weshalb wir bei Ihrem Fortbildungstermin den Vortrag mit unseren Anliegen und Forderungen nochmal vorgetragen haben. Im Anschluss kam es zu einer produktiven Diskussion, wie gegen die sexistischen Strukturen vorgegangen werden kann. Von Seiten der Studiendekanin wurden bereits formelle Dienstgespräche geführt, Stellungnahmen gefordert, die Thematik in medizindidaktische Schulungen implementiert und die Lehrveranstaltungsevaluation um eine Freitextangabe erweitert.

 

Wünsche und Vorschläge der Fachschaft

Wir von der Fachschaft wünschen uns für das Thema eine No Go Mentalität und eine Enttabuisierung. Das bedeutet konkret: Wir müssen über das Thema Sexismus und sexuelle Diskriminierung sprechen und uns eingestehen, dass es ein Problem gibt, um etwas daran zu ändern. Es zu ignorieren oder zu bestreiten, bringt nichts. Also sprecht untereinander über eure Erfahrungen und steht für eure Kommiliton*innen ein, wenn ihr etwas mitbekommt.

Unser Ziel ist die Sensibilisierung für Sexismus am Arbeitsplatz und in der medizinischen Lehre. Hierfür sollte es für alle Mitarbeitenden der Universität, Uniklinik sowie für Studierende Fortbildungen und Informationen an zugänglichen Stellen geben. So gehen wir einerseits präventiv vor und können andererseits Diskriminierung besser erkennen und benennen, was dabei hilft, Betroffene im Moment besser zu unterstützen.

Wir wünschen uns transparente Beschwerde und Verfahrenswege, inklusive Sanktionen bei Häufungen von Vorfällen. Außerdem brauchen wir Melde und Anlaufstellen für Studierende am UKW, die gut zugänglich, auffindbar und anonym sind.

 

Hilfsangebote

Seit April 2024 gibt es über das Büro der Universitätsfrauenbeauftragten eine Kontaktstelle für sexuelle Belästigung, die zentralisiert für alle Vorfälle im universitären Kontext, also auch Seminare oder Praktika an der Uniklinik, zuständig ist.

Sexuelle Belästigung fängt nicht erst beim körperlichen Übergriff an. Sie bezeichnet jedes psychische, physische oder verbale Verhalten mit sexualisiertem Bezug, das von der betroffenen Person als unangenehm und unerwünscht empfunden wird. Hierbei ist es egal, ob die verursachende Person die Belästigung beabsichtigt hat. Täter oder Täterinnen nutzen sexuell konnotierte, sowie durch sie selbst sexuell aufgeladene Äußerungen und Handlungen, um Macht und Überlegenheit auszuüben.

Die neu eingerichtete Kontaktstelle ermöglicht es Euch, online und auf Wunsch anonym, also ohne Nennung von persönlichen Daten, eine Beratungsanfrage zu stellen. Die Beratung kann über die Chatfunktion der Plattform erfolgen, Ihr könnt euch aber zu jeder Zeit auch für ein persönliches Gespräch entscheiden. Ihr könnt dabei selbst Erlebtes schildern, aber auch Beobachtungen, die ihr zu sexualisierter Diskriminierung im universitären Kontext, sowie Sexismus in der Lehre, gemacht habt, an die Kontaktstelle herantragen.

In einer Erstberatung kann Euch beispielsweise geholfen werden, Erlebtes einzuschätzen und einen individuellen Umgang damit zu finden. Außerdem können Handlungsoptionen aufgezeigt werden, über mögliche Formen der Unterstützung gesprochen und gegebenenfalls der Kontakt zu geeigneten Beratungsstellen vermittelt werden. Falls Ihr das Erlebte offiziell melden wollte, könnt ihr Euch hier über Eure Möglichkeiten einer Meldung informieren und Unterstützung für die darauffolgenden Schritte bekommen.

Wichtig: Eine Beratungsanfrage ist noch keine offizielle Meldung und Meldungen werden auch nicht ohne Euer Einverständnis von der Kontaktstelle vorgenommen. Die betroffene Person allein entscheidet, was sie von der Beratungsstelle braucht und welche weiteren Schritte sie gehen will - oder nicht. Die Berater*innen der Kontaktstelle sind zur Verschwiegenheit verpflichtet und behandeln alle Anliegen vertraulich.
Den direkten Link zur Kontaktstelle findet Ihr hier.

Weitere Informationen zur Kontaktstelle, den Beraterinnen sowie externen Anlaufstellen findet Ihr hier.

Wenn ihr später nochmal mehr zu Meldestelle nachlesen wollt, haben wir diese auch auf unserer Webseite beschrieben.

Wir als Fachschaft haben auch in Zukunft weiterhin ein offenes Ohr für eure Probleme und geben gerne Erfahrungen mit den Anlaufstellen bei Sexismus weiter. Auch Frau Prof. König als Studiendekanin ist eine gute Anlaufstelle um konkrete Maßnahmen wie Dienstgespräche einzuleiten.

Lasst uns gemeinsam gegen Sexismus in der medizinischen Lehre vorgehen und versuchen in den Situationen das unpassende Verhalten oder die problematischen Aussagen anzusprechen.

Viele Grüße

Caro und Inga

im Namen der Fachschaft