Würzburg ist das europaweit größte Zentrum für die Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit der Krankheit Hypophosphatasie
Hypophosphatasie ist eine seltene, angeborene Störung des Knochenstoffwechsels. Wie sie sich beim Einzelnen äußert, ist nicht vorherzusehen und reicht von einem frühen Tod bis hin zu rheumaähnlichen Beschwerden, die erst im Laufe des Lebens beginnen. In der Würzburger Kinderklinik und Poliklinik sowie in der Orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus werden die Betroffenen seit vielen Jahren betreut. Inzwischen ist Würzburg das europaweit größte Zentrum für die Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit der Krankheit Hypophosphatasie. Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen erforscht die Krankheit und deren Behandlung und hat damit bereits einen Beitrag für die bessere Versorgung leisten können. „Kollegen und Betroffene kommen aus ganz Europa in die Würzburger Universitäts-Kinderklinik und die Orthopädie im König-Ludwig-Haus“, sagt Professor Franz Jakob vom Muskuloskelettalen Centrum Würzburg.
Die Symptome der Hypophosphatasie sind sehr unterschiedlich: Bei Kindern können paradoxerweise die Schädelnähte früh verknöchern – das hindert das Gehirn daran, sich auszudehnen: Es kann zu einer lebensgefährlichen Erhöhung des Druckes im Schädel kommen. Bei Belastung anderer Knochen kommt es hingegen, teilweise bereits im Mutterleib, zur Verformung und zum Bruch von Knochen, die dann schlecht heilen. Auch die Wachstumsfugen sind in Mitleidenschaft gezogen, sodass Betroffene häufig minder- oder kleinwüchsig sind. Auch die Zähne können ausfallen.
Zurückzuführen sind all diese Beschwerden auf ein Enzym, das aufgrund einer Mutation im Erbgut nicht richtig funktioniert: Es heißt alkalische Phosphatase. „Das Organsystem Knochen ist keinesfalls nur lebloses, hartes Material“, sagt Jakob. Vielmehr ist der Knochen ständigen Auf- und Abbauprozessen unterworfen. „Wenn wir zum Beispiel hüpfen oder springen, weiß der Knochen, dass er aktiv werden muss.“ Die alkalische Phosphatase reguliert dabei die Mineralisierung und trägt auch zur Knochenneubildung bei.
Über die Funktion des Enzyms im Knochen weiß man schon sehr viel. Wenig erforscht ist jedoch bisher, welche Aufgaben die alkalische Phosphatase in anderen Organen hat – etwa in der Niere, im Magen-Darm-Trakt oder im Nervensystem. Auch daran arbeiten die Wissenschaftler. Denn auch dort führt der Mangel an funktionierender alkalischer Phosphatase zu Beschwerden wie Gewichtsabnahme, Verkalkung der Nieren oder Fehlfunktion der Nervenzellen, was zu Krampfanfällen führen und möglicherweise auch bei der oft beobachteten Neigung zu depressiver Verstimmung eine Rolle spielt.
Solche Krankheitsprozesse sind bisher nur unzureichend verstanden. Welche Funktion hat die alkalische Phosphatase in den Organen? Warum ist die Ausprägung der Krankheit von Mensch zu Mensch unterschiedlich, auch wenn der gleiche Gendefekt vorliegt? Nicht zu wissen, wie sich die Krankheit auf das eigene Leben auswirken wird, ist sehr belastend. Daher will man auch herausfinden, wie man den Krankheitsverlauf besser vorhersagen kann.
Die Symptome sind zu lindern
Zwar gibt es keine ursächliche Therapie. Dennoch kann man Symptome lindern. „Auch dem Patienten mitzuteilen, dass es einen Grund für die Beschwerden gibt, kann schon hilfreich sein“, sagt Jakob. Denn nicht selten werden Betroffene aufgrund der unspezifischen Beschwerden in die „Psycho-Ecke“ gestellt. „Trotzdem können sie, wenn man ihnen die nötigen Hilfsmittel zur Verfügung stellt, am Arbeitsplatz viel leisten.“ Eine wichtige Rolle spielt dabei die Selbsthilfe, mit der die Mediziner eng zusammenarbeiten. Nicht zufällig hat auch der Bundesverband der deutschen Hypophosphatasie-Selbsthilfe seinen Sitz in Würzburg.
Beratung, Physiotherapie, Schmerztherapie, Operation von Knochenbrüchen in spezialisierten Zentren, organisierte Selbsthilfe – viele Maßnahmen haben dazu beigetragen, die Lebensqualität von Hypophosphatasie-Betroffenen zu verbessern. Große Erwartungen gibt es darüber hinaus in eine Enzymersatztherapie, mit der man die Krankheit auch ursächlich bekämpfen kann. Ein in den USA entwickeltes Medikament gibt Grund zur Hoffnung, wie eine Studie mit schwer erkrankten Säuglingen und Kindern kürzlich zeigte. Die meisten Teilnehmer der weltweiten Studie hat Privatdozentin Dr. Christine Hofmann in der Würzburger Universitäts-Kinderklinik betreut. Viele der Kinder konnten dank der neuen Therapie gerettet werden. „Im Röntgenbild zeigt sich deutlich, wie der Knochen verkalkt, und auch das klinische Beschwerdebild bessert sich signifikant, besonders die Muskelkraft und die Motorik“, so die Kinderärztin.
Ein zweites Medikament, das bei der Hypophosphatasie in Zukunft zum Einsatz kommen kann, sind Anti-Sklerostin-Antikörper. Sie wurden durch die Erforschung einer anderen Seltenen Krankheit entdeckt, bei der der Knochen nicht schwindet, sondern verdickt ist. „Die Erkenntnisse haben dazu geführt, dass man einen Wirkstoff entwickeln konnte, der Knochenaufbau stimuliert“, erklärt der Orthopäde Dr. Lothar Seefried, der die Studie mit seinem Team am König-Ludwig-Haus durchgeführt hat. In Zukunft soll er unter anderem auch bei Osteoporose zum Einsatz kommen. Für diese Anwendung befindet sich das Medikament derzeit in der letzten Phase der klinischen Prüfung. Bei Erwachsenen mit etwas milderen Formen der Hypophosphatasie ist die Behandlung bereits erprobt. „Wir versprechen uns von der knochenaufbauenden Behandlung sehr viel für die Erwachsenen mit Hypophosphatasie“, so Seefried.
Viele der neuen Therapien sind sehr teuer, räumt Jakob ein. „Es stellt sich die Frage, wie viel unser Gesundheitssystem leisten und verkraften kann.“ Unstrittig ist, dass die Enzymersatz-Behandlung bei Kindern angewendet werden sollte, die sonst sterben oder wesentlich in ihrer Entwicklung eingeschränkt würden. Bei Betroffenen, die bis ins Erwachsenenalter ohne größere Probleme zurechtkommen, wäre eine knochenaufbauende Therapie womöglich hilfreich.
Ziel ist es, so Hofmann, ein interdisziplinäres Team aufzubauen, das über die gesamte Lebensspanne hinweg beraten und helfen kann. Dazu gehören neben Disziplinen wie der Humangenetik oder der Neurochirurgie auch die Grundlagenforschung, die im Würzburger Team durch Dr. Birgit Mentrup und Stephanie Graser repräsentiert ist. Hilfreich ist dabei auch das neu gegründete Zentrum für Seltene Erkrankungen. Jakob: „Hier sind alle Kompetenzfelder vertreten, die eine solche hoch qualifizierte Anlaufstelle braucht.“